Postille in Sache „Seetorpassage“: Schluss mit einem sinnlosen Glaubenskrieg und hin zum vernünftigen Neudenken.
Leider muss man feststellen, dass
die Debatte über diese an sich problemlose Baumaßnahme für viele zu einer
Glaubensfrage geworden ist. Und man sollte doch wissen, mindestens seit dem
Dreißigjährigen Krieg, dass es bei allen Glaubenskriegen nur Verlierer geben
kann.
In der Tat, haben sich unter den
Radolfzellern zwei Fraktionen gebildet, die ihre jeweilige Sichtweise als Glaubensfrage
verstehen. Die Anhänger der einen Fraktion plädieren für den Bau der ihnen als
„alternativlose Vorzugsvariante“
verkauften Planung eines breiten Tunnels unter der Schienen
gleichzeitig als Seepassage und als
Zugang zu den Gleisen, ohne zu erkennen, dass gerade diese gemischte
Benutzung das Problem darstellt, das man mit einem Neubau vermeiden
wollte!
Und weil dies zu einer
Glaubensfrage geworden ist, soll der Bau ohne Rücksicht auf Kosten und ohne
weitere kritische Überprüfungen sofort geschehen, „sonst verliert man Zeit“.
Es wurde sogar von jemand der
Begriff „Missionare“ verwendet: dies passt wunderbar aber gerade zu denjenigen,
die sich für die „Vorzugsvariante“ begeistern, und ohne fachliche oder
nachprüfbare Argumente die irreführende Parole wiederholen, die sie blind
geglaubt haben (wie aus deren fehlender Sachlichkeit leicht einzusehen ist),
und nicht zugeben wollen, dass sie Opfer einer gezielten Täuschung waren und
sind. Für diese unvernünftige Haltung
sind natürlich an erster Stelle viele Gemeinderäte und der OB
mitverantwortlich, die diese Variante
leichtsinnig und ohne sachliche Gründe (um nicht zu sagen gegen besseres
Wissen) als „alternativlos“ bezeichnet haben. Zur Stunde wissen wir, dass der
OB endlich gemerkt hat, dass eine Entscheidung gegen die Mehrheit der
Bürger das Klima in der Stadt weiterhin
vergiftet, abgesehen von den Kosten und Risiken dieses „Jahrhundertprojekts“.
Trotzdem gibt es immer noch eine
Mehrheit von Gemeinderäten, die zwar in dieser Frage nur die Minderheit der
Bürger repräsentieren, die aber beharrlich den unsinnigen Bau erzwingen
wollen.
Bei den Gegnern dieser „Variante“ sind aber auch allzu viele, die zwar die
enormen Kosten scheuen (mit recht, denn die bisher bekannten Rechnungen sind
sicher nur ein Teil der Endkosten) aber ansonsten den Plan nur deswegen
ablehnen, also inhaltlich nicht in Frage
stellen. Leider ist also die Debatte
so entgleist, dass niemand mehr sich die Frage stellt, ob es nicht doch andere
Möglichkeiten gibt, schön, passend und günstiger, eine Seepassage zu bauen, und
zwar UNABHÄNGIG von der jetzigen Bahnunterführung.
Man braucht nicht einmal
fachliche Kompetenzen, um zu erkennen, dass praktisch alle anderen
Möglichkeiten besser wären, als eine unansehnliche, weniger funktionell, und
problembeladene Unterführung, die zwar
als „Vorzugsvariante“ von einem Planungsbüro der DB aggressiv als
Wunderwerk dargestellt wurde, aber deren einziger Vorzug darin besteht, dass
damit die DB die Kosten nicht selber tragen muss und von der Stadt einen neuen
Bahnhof und Unterführung damit geschenkt bekommt.
Aber es geht in diesem
Fall auch noch um einen Angriff auf die Demokratie. Diese liefert zwar nie eine
Garantie für vernünftige Entscheidungen. Außerhalb der demokratischen Regeln sind aber alle Entscheidungen
grundsätzlich falsch, denn die übergangene Mehrheit wird alles tun, um sich
bei derselben oder – noch schlimmer – bei künftigen Gelegenheiten zu
revanchieren und andere Projekte aus Prinzip ablehnen oder erschweren.
Das sehen wir schon jetzt in
Radolfzell, wo bei allen wichtigen Neuprojekten ein vergiftetes Klima die
absolut notwendige Bürgerkooperation mit den Entscheidungsträgern verhindert.
Selbst wenn die „Vorzugsvariante“
die beste Lösung wäre (und davon sind wir sehr weit entfernt !!), sie einer so
geteilten Bürgerschaft, die dazu auch noch mehrheitlich dagegen ist, zu
erzwingen wäre eine undemokratische Todsünde. Es ist also bei den
Entscheidungsträgern eine Frage der Demokratie und der Verantwortung.
Voraussetzung für richtige Entscheidungen ist eine
unverfälschte Information über alle Fakten und Gegebenheiten, und die deutliche
Zuordnung der zutreffenden Maßnahmen zu den damit beabsichtigten Zielen. In
unserem Fall wurde keine einzige der o.g. Bedingungen erfüllt: Weder gab es
eine rechtzeitige und korrekte Bürgerinformation, noch wurden die Ziele klar
formuliert. Die Salami-Taktik bei der Kostenbekanntgabe wurde von irreführenden
Angaben und 3D Darstellungen des Projekts begleitet, die ein ganz anderes
Resultat vorzuzeigen versuchten, und es fehlten auch nicht gezielte
Falschmeldungen wie die angebliche „nicht Genehmigungsfähigkeit“ von
Alternativen.
Was wünschten sich aber ALLE
Radolfzeller? Nur zwei Sachen: 1) eine modernisierte und barrierefreie
Bahnunterführung; 2) einen schöneren
Seezugang von der Altstadt.
Hätten die Verantwortlichen diese
zwei Ziele getrennt verfolgt, wäre das
erste der DB überlassen worden, denn gesetzlich ist sie auf eigene Kosten bis
spätestens 2022 dazu verpflichtet.
Für den Seezugang hätte man die ganze
Freiheit zwischen verschiedenen Optionen gehabt, wobei die Lösung mit einer
noch so breiten Unterführung sofort als unpassend aufgefallen wäre, denn
fachlich und architektonisch gesehen, bietet eine Unterführung am Seeufer nur
Nachteile und Gefahren, sie ist lediglich eine Notlösung, einigermaßen
annehmbar für Bahnreisende, aber unansehnlich als Fußgänger- Zugang zur
Seepromenade.
Wäre man also mit getrennten
Maßnahmen vorgegangen, hätten wir nach dem entsprechenden Architektenwettbewerb
schon seit Jahren und ohne die bisherige schon unverhältnismäßige Planungskosten eine passende und von der überwiegenden Mehrheit der Radolfzeller
angenommene Lösung, wahrscheinlich stünde sogar schon das Ergebnis da, und zu
einem Bruchteil der jetzt angegeben Kosten, die höchstwahrscheinlich nur als
Anzahlung zu verstehen sind.
Stattdessen hat man die
Planungshoheit faktisch der DB überlassen. Ein finanziell nicht gerade gut
bestelltes Unternehmen, das schon anderswo (Stuttgart 21) mit steigenden Kosten
zu kämpfen hat, konnte sich in Radolfzell nicht die günstige Gelegenheit
entgehen lassen, die eigenen Aufgaben elegant der Stadt aufzubürden.
Diese Rechnung ging jedoch nicht
ganz auf: denn in Radolfzell gab es genügend gut informierte Bürger die nicht
bereit waren, sich wie die Mehrheit ihrer Vertreter im Gemeinderat, über den
Tisch ziehen zu lassen, und durch einen Bürgerentscheid beweisen konnte, was die
Radolfzeller eindeutig NICHT wollen !
Man musste jedoch warten, bis die
ganze Wahrheit ans Licht kam: gegen alle Versprechungen, die lediglich nur dazu
dienten, die Gemeinderäte zur falschen Entscheidung zu verführen, gab endlich
die DB zu, dass sie nie beabsichtigt hatte, sich an den Kosten zu beteiligen.
Der OB hat sofort die Brisanz der
Sache erkannt und verantwortungsvoll die „Vorzugsvariante“ endgültig verworfen. Die Reaktion der Mehrheit der
Entscheidungsträger im Gemeinderat
lässt jedoch eine gewisse ... Trägheit in der Wahrnehmung der neuen
Situation erkennen. Statt den Fehler zuzugeben und aus der Sackgasse wegzukommen,
beteuerten die meisten, weiterhin die Fehlplanung weiter treiben zu wollen, die
nur zu einer noch größeren Blamage und
bauliche wie finanzielle Katastrophe führen kann.
Wenn ich nicht seit über 40
Jahren Bürger dieser schönen Stadt wäre, aus Schadenfreude würde ich mir fast
wünschen, dass hier mit der „Vorzugsvariante“ das größte Mahnmal
undemokratischer und verfehlten Kommunalpolitik entsteht.
Aber als Radolfzeller hoffe ich
immer noch auf ein Wunder, so dass diese Blamage unserer Stadt erspart bleibt.
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*** Eine
Chronik dieses Projekts und alle fachliche Beweise und Argumente gegen die
„Vorzugsvariante“, zuzüglich Alternativvorschläge, sind in der Broschüre
„Radolfzells Zukunft liegt nicht unter den Gleisen“, die letztes Jahr in
Zusammenarbeit mit Herrn Heinz-Jochen Baeuerle veröffentlicht habe.
Interessenten könne diese 40-seitige Broschüre bei
mir anfordern (graziano.priotto@uni-konstanz.de)
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