Mittwoch, 10. August 2016

Erdogan und die Euroheuchler. Wie die Europäische Union ihre „Leitkultur“  endlich gefunden hat: sie heißt doppelte Moral. 

Vor einigen Monaten hatte ich die Vereinbarung zwischen der EU und der türkischen Regierung, eigentlich zwischen der Kanzlerin Merkel und dem türkischen Präsidenten Erdogan, als „verabscheulichen Pakt“ bezeichet.  Dazu hatte ich ebenfalls die Wirksamkeit dieses Kuhhandels Zweifel gezogen, denn wenn Menschen nur noch die Wahl zwischen dem Elend eines unwürdigen Lebens unter stetiger Gefahr des Todes in Kriegsgebieten und die Flucht bleibt, dann ist es nur logisch und unvermeidbar, dass die Masse der Kriegsvertriebenen die Flucht über Land oder Meer lieber riskiert, wo midestens eine Hoffnung bleibt.
Keine Mauer und Zäune haben bisher die Flüchtlinge halten können. Noch nie in der Geschichte der Menscheit konnten Völkerwanderungen gestoppt werden. Bremsen kann man sie für eine Weile, aber ganz stoppen nie. Und meistens wirken sich diese Migrationen sogar positiv auf die Aufnahmeländer aus. Selbst egoistisch und rein wirtschaftlich sind die Migranten eine gute Investition. Man muss sie nur als Lösung statt als Problem verstehen. Sicher, es ist schwieriger  diesen Gedanken zu verbreiten, denn dafür muss man die Intelligenz ansprechen. Viel leichter und schneller können skrupellose Politiker Gewinne erzielen, wenn sie sich auf die Ignoranz der Fremdenhasser berufen, und mit verlogenen patriotischen Tiraden und Angstparolen die Masse der Unwissenden hinter sich ziehen.  
  
Aber zurück zum Pakt mit Erdogan: sein einziges Ergebnis sind zunächst die enorm steigenden Gewinne der Schlepper: je schwieriger die Flucht, desto teurer die „Hilfe“, die solche Kriminelle anbieten, indem sie gewissenlos überfüllte meeresuntaugliche Boote nach  Italien oder Griechenland senden, billig in Kauf nehmend, dass Tausende ihr Leben dabei verlieren werden, nachdem sie ihr letztes Habe für die tödliche Überfahrt bezahlt haben.

Verabscheulich war der Pakt aber auch, weil ohne die direkt Betroffenen verhandelt wurde. Diese historisch vielerorts erprobte Vorgehensweise wird hier wiederholt: es ist leichter zu  entscheiden, ohne die direkt Betroffene zu beteiligen. Die Syrer, sowie die Afghanen und die Iraker wurden nicht gefragt, ob sie „Hilfe“ für den Umsturz ihrer Herrscher wirklich wollten. Die selbstherrliche „westlichen Demokratien“ haben diese Länder  entweder direkt angegriffen oder Teile der selbsternannten Widerstandskämpfer samt eigene Söldner mit Waffen versorgt, und damit die Flüchtlingswelle direkt verursacht, aber die Konsequenzen wollen sie natürlich nicht tragen. Die Massenflucht der armen Bevölkerungen aus ihren zerstörten Ländern wollen die „Missionare der Demokratie mit Waffengewalt“, weder die USA noch ihre von der NATO besetzten EU Länder  haben.   
Der Pakt von Istambul ruft unangenehme Erinnerungen wach: 1938 wurde in München ebenfalls ohne Anwesenheit der direkt Betroffenen (die  tschechoslowakische Regierung) ein Pakt beschlossen, der genauso unwürdig wie sinnlos in Bezug auf die angeblichen Ziele  war [1] . Das Ergebnis kennen wir leider nur allzugut.
Die Wahl der Kanzlerin in Istanbul  war ebenfalls wie damals in München zwischen Scham und  inneren Streitigkeiten in der EU: genauso wie 1938 Chamberlain tat, wählte die Kanzlerin die Scham eines Paktes mit einem Diktator und erntete die Auseinandersetzung in der EU. Die Briten sind aus dieser verlogenen EU schon weg, andere Staaten werden folgen oder immer weniger Solidarität zeigen, und die Probleme, die man sinnlos mit dem Pakt lösen wollte, werden ständig wachsen. Schon jetzt, während einerseits die Türkei vielleicht einige Flüchtlinge von der EU zurücknimmt (schon allein dies ist eine Schande für diese Union, die den  vielleicht am wenigsten verdienten  „Nobelpreis für den Frieden“  trägt), wächst andererseits kontinuierlich die Strömung der Kurden, die genau vor der mörderischen Unterdrückung des gleichen Diktators nach Europa fliehen (allein in Deutschland hat sich innerhalb eines Jahres deren Zahl verdoppelt).

Dann kam der Staaststreich in der Türkei. Darüber wissen wir zu wenig, um zu urteilen. Die offenen Fragen sind zu viele (welche oppositionellen Kräfte standen dahinter, wusste der Präsident wirklich nichts davon, wenn ja, wie konnte er so schnell die Antwort organisieren?, um nur einige der Grundfragen darüber zu erwähnen).
Eine für immer offene Frage wird bleiben, wie hätte eine Militärregierung gegenüber den Kriegsparteien in Syrien, den kurdischen Separatisten und der EU sich verhalten. Man kann  vermuten, dass es eine Wende gegeben hätte, denn ansosnten wieso ein Staatsstreich?!
Offensichtlich ist jedenfalls geworden, dass die EU und die USA nicht  deutlich gegen diesen misslungenen Staatsstreich aufgetreten sind. Bisher hat noch kein hoher Vertreter der EU die Türkei besucht, aber alle haben die Sicherheitsmaßnahmen des sich knapp geretteten Präsidenten Erdogan scharf kritisiert und ihm unverlangte Nachhilfe in Sache Demokratie reichlich angeboten. 
Und mit welcher Hypokrisie! Die bloße Erwähnung Erdogans, dass das türkische Volk sich die Wiedereinführung der Todesstrafe wünscht hat schon gereicht, um die Politiker aller EU Länder zu einigen in einer „moralischen Verurteilung“ dieser Idee. Diese Hypokriten merken nicht einmal mehr wie offensichtlich ihre eigenen Widersprüche sind, denn wenn die Todesstrafe –  zwar richtigerweise, dies muss betont werden -  ein Grund wäre, um die Kooperation mit den Staaten, die sie praktizieren, zu beenden, dann müssten z.B. viele Staaten der EU, und Deutschland als erster aufhören, Saudi Arabien zu hofieren um dort milliardenschwere Waffengeschäfte abzuwickeln. Dasselbe gilt natürlich für die USA wie für Ägypten, dessen Diktator Sissi offensichtlich der Wunschkandidat der westlichen Heuchler war. Er hat den demoktarisch gewählten Presiden Mursi mit Gewalt gestürzt, und nach einem Schauprozess, gegen ihn die Todesstrafe verhängt: kein Aufschrei bei den Heuchler in Bruxelles. Zwar war und ist die Angst vor den islamistischen fundamentalistischne Muslimsbrüdern berechtigt, aber diese berechtigt wiederum nicht, Staatsstreiche zu legitimieren. Die doppelte Moral ist also die neue Leitlinie, oder besser gesagt, mit einem hässlichen und sonst sinnlosen Begriff, die  endlich  staatenübergreifende  allen gemeinsame „Leitkultur“ der EU.  
Was die inneren angelegenheiten der Türkei betrifft, muss zwar kompromisslos verlangt werden, dass die Verhaftungen von Oppositionellen und die Presseunterdrückung in der aufhören. Aber mit welchem Recht kann man einem Land vorwerfen, mit Sondergesetzen zu regieren, der Hunderte Tote bei einem versuchten Stattsstreich zu beklagen hatte, dazu hohe Sachsschäden  und vor allem als Gefahrregion dabei ist, die Touristen zu verlieren?
Dass die Türkei kein demokratisches Land im historischen Sinn ist und wahrscheinlich sein will, bleibt unumstritten. Die scharfen Kriterien dafür schaffen aber ebenfalls sehr wenige Staaten in der EU, wobei die EU selber gar keine demokratische Regierungsform hat, denn die EU-Kommission mit der ganzen Macht, die sie besitzt, wird nicht demokratisch gewählt. Ganz zu schweigen von den Entscheidungen, die GEGEN den ausdrücklichen  Willen der Bevölkerungen getroffen wurden (die EU Verträge, die beim Referendum verworfen wurden, in Frankreich und in der Niederlanden, wurden trotzdem erzwungen).
Mit welchem Recht kann z.B. die französische Regierung den türkischen Präsident kritisieren, während sie selber wegen einigen terroristischen Attakten sei Monaten mit Notstandgesetzen regiert? 
Die Haltung der EU bei und nach dem versuchten Staatsstreich in der Türkei hat auch den  naivsten EU-Bürgern vor Augen geführt, mit welcher Hypokrisie  ihre Regierungen und die 
von den internationalen Finanz- und Indusrtrelobbies geführte EU-Organe in Brüssel  ihre Macht ausüben, und dabei wie wenig an Demokratie noch übrig geblieben ist.
Oder: war es nicht enorm beschämend, dass bei der demokratischen Entscheidung der Briten, genau diese EU zu verlassen, alles versucht wurde, um die Wahl im Sinne der internationalen Lobby-Profiteure zu beeinflussen? Mit Angst, mit perfiden wie falschen wirtschaftlichen Drohungen, ergänzt mit  verleugneten moralischen Appellen, wurde nichts unterlassen, um die Briten im gleichen sinkenden Boot der EU zu behalten.
 Es war zum Glück alles umsonst, die älteste wahre Demokratie in Europa hat bewiesen, dass es noch Werte gibt, die man nicht einfach übers Bord werfen darf, und daher die falschen Demokraten lieber verläßt, als mit ihnen gemeinsame Sache tun. 

Somit ist die EU jetzt alleine mit den eigenen von ihr selber verursachten Problemen, die nur noch größer werden können, denn bei allen Regierenden ist nicht die kleinste Bereitschaft zu erkennen, ihre eigenen undemokratischen Machenschaften zuzugeben und ihre Fehler zu korrigieren. 

Und so geht es leider weiter: mehr Waffen in die Krisengebiete, Soldaten und Bomben in Libyen, Mauern und Zäune gegen die damit verursachten Flüchtlingsströmungen, tausende Tote im Meer, und die unvermeidliche Fremdenfeindlichkeit in allen Ländern der schändlichen Europäischen ... Dis-Union. Das Fundament der EU war bei deren Gründungsvätern die „Solidarität“ und die „Kooperation“: davon ist nichts mehr zu sehen.
Stattdessen regiert die neuliberale Religion, die „Kompetitivität“, in anderen Worten der Profit für wenige auf Kosten des Elends und der Verarmung der Massen.
Wir wissen nicht wie lange diese Farse von falscher Union noch aufrecht zu halten ist, aber eine Sache ist sicher: Erdogans Türkei würde wunderbar in diese EU passen, die ihre ehemalige moralische und demokratische Grundlage völlig verloren hat.

Diese EU versucht außerdem immer dabei zu sein, als fleißige und untertänige Dienerin der USA (vonder Angst getreiben, mit einem „f..ck you EU“ getadelt zu werden) bei allen Angriffe auf souveränen Staaten.
Serbien, Afganistan, Irak, Mali, Libyen, können ein Lied davon singen. Am liebsten produzieren sich die EU Politiker bei Umstürzen von demokratisch gewählten Präsidenten: die Bühne auf dem Maidanplatz in Kiew war nicht nur von USA Vice-Präsident Joe Biden beschlagnahmt (der dort für die „demokratische“ Entscheidung plädierte, damit sein Sohn die Fracking Geschäfte in den östlichen Teilen des Landes übernehmen konnte), sondern von vielen Vertretern der EU. Der damalige deutsche Außenminister leistete dort ständige Präsenz, ohne Rücksicht auf die kleine Detail (die maßgebliche Kraft hinter den Umstürzlern waren die Nachfolger der Hitler- Kollaborateure, Antisemiten und Homophobe).
Selbst die naivsten Bürger können nicht mehr übersehen, wenn sie die Augen nicht verschließen, dass die angebliche „Außenpolitische Linie der EU“  in Wirklichkeit nur noch das Diktat der NATO ist, die auf Expansionkurs verzweifelt  sucht, ihre Legitimatin durch Ängste zu begründen, die aber lediglich Folgen ihre Provokationen sind: so in Georgien, genauso wie in der Ukraine. Im Fall der Türkei ist sogar eine weitere „rote Linie“ überschritten worden, denn dieses Land ist NATO Mitglied: man sieht, wie wenig Respekt selbt für die Mitglieder noch gilt, wenn ein unbeliebter Politiker beseitigt werden soll, weil er nicht nach der NATO /EU Musik tanzen will. 
      
Am Ende gibt es jedoch eine fröhliche Nachricht für die Türkei: wenn ihr Präsident sie weiterhin undemokratisch regiert, dann entfernt sie sich nicht, im Gegentheil nähert sie sich zunehmend der EU an, die als erste die Demokratie im eigenen Machtbereicht abgeschafft hat, und mit einer skrupellosen und machtbesessenen Oligarchie die europäischenVölker insgesamt drangalisiert.
Diese ist die jetzige EU: Das Paradies der Finanzprofiteure, der Waffenhändler und der Lobbiesten der Großkonzerne. Die von ihnen einzig praktizierte Rettung gilt den Banken, bei gleichzeitiger Beschneidung der Rechte der Arbeitenden und Reduzierung der Sozialleistungen. Privatisierung ist ihr Credo,  immer größerer Vermögen für immer weniger Superreiche ihr Oberziel. Die neue Religion dieses bürokratischen Monsters heißt nämlich Neoliberismus, seine  zerstörerische Waffe heißt Euro. Diese EU kann also durchahus Diktatoren der schlimmste Art gut vertragen, und der arme Erdogan wäre sogar, wenn man die verlogene Klassifizierung der USA bei den Syrischen Rebellen benutzen will, ein „moderater“ Herrscher.  
 


[1] Der sog.  Münchner Abkommen (oder besser  Münchner Diktat wurde von Mussolini (der lediglich einen ihm von Hitler befohlenen Vertragstext Vortrug),  und dem englischen und französischem Außenminister  besiegelt. Die tschechoslowakische Regierung war nicht  anwesend, musste aber unter Drohung eines sofortigen Angriffes (seitens Deutschlands und Polens) die Wegnahme von ca. 25 % des eigenen Gebietes  akzeptieren. Churchill warf dem Außenminister Neville Chamberlain vor:  “You were given the choice between war and dishonour. You chose dishonour, and you will have war.” … und hatte leider vollkommen Recht.

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