Donnerstag, 14. Februar 2019

Die Europäische Union und die Illusion des Neoliberalismus.

Überlegungen nach einem Vortrag vom berühmten Ökonom Hans-Werner Sinn an der Universität Konstanz am 11.2.2019.



Professor  Hans-Werner Sinn  ist nicht nur in Deutschland als führender Ökonom, sondern Europa und-weltweit als einer der renommiertesten Ökonomen bekannt. Seine Bücher lösen immer große Debatten aus, denn sie treffen unweigerlich den Nerv der Zeit, mit kritischen Alternativerklärungen für brennende Fragen, die deutliche Antworten von der politischen Ökonomie verlangen, sei es die Klimapolitik, oder die Finanzkrise oder der Euro und die Überschuldung mancher  europäischer Staaten (s. z.B.„Target-Falle“). Nicht ohne Grund hat die Wochenzeitschrift Die Zeit ihn als „ökonomischer Seismograph der Republik“   zu Recht genannt.
Das Thema seines Vortrags in Konstanz, in dem bis zum letzten Platz besetzen Audimax,  war ebenfalls höchst aktuell: „Die Bedeutung des Brexits für Deutschland und Europa“. Kurz zusammengefasst, seine These und Empfehlung war: „Die Verantwortlichen der EU sollten alles versuchen, um Großbritannien in der Union zu behalten“. Dies selbst mit schmerzhaften Konzessionen, wie z.B. die Genehmigung einer restriktiveren Politik bei der Migration innerhalb der EU, ganz konkret, indem die Sozialleistungen (z.B. Kindergeld) zu Lasten der Abstammungsstaaten und nicht der Aufnahmestaaten der Migranten zu erbringen wären. Begründet wurde diese Behauptung mit  der Feststellung, dass bei den exit-polls des Referendums am 23. Juni 2016, entscheidend für den Brexit hauptsächlich zwei Punkten waren: gleich nach dem Unabhängigkeitswunsch (mit 45 % der Befragten), nannten nämlich 26 % der Befragten die Angst vor einer Einwanderungswelle aus anderen EU Ländern in die großzügigeren Sozialleistungen in Großbritannien. 
Mit der Beschneidung der Sozialleistungen für Migranten hatte aber Professor Sinn nichts anderes als der Vorschlag von einem gewissen Tony Blair aufgegriffen, was erkennen lässt, dass dieses ein Bekenntnis zum Neoliberalem Ökonomischen Modell ist, genau das, was für den politischen Abstieg aller sozialdemokratischen Parteien in Europa verantwortlich ist, die sich daran orientiert haben.
Zwar hat Professor Sinn genau erkannt, wer nach einem Brexit (egal ob mit oder ohne Vertrag) als Gewinner hervorgehen würde: nämlich diejenigen, die in allen deindustrialisierten und verarmten Gebieten Großbritanniens  für den Brexit mehrheitlich gewählt hatten.
Ebenfalls deutlich war auch die Gebietsverteilung derjenigen, die lieber in der EU bleiben wollten und immer noch möchten: diese sind eben die Gewinner aus der jetzigen Situation, die Finanzwelt und die Dienstleistungsbereiche, der Handel und diejenigen die schon jetzt aus der Digitalisierung profitieren, uns sich damit noch bessere Chancen bei dem Verbleib in der EU versprechen. Über diese Argumentation, die Professor Sinn mit einer Fülle von Daten und gut nachvollziehbaren Überlegungen vortrug, gibt es Nichts zu beanstanden.
Logischerweise hat er auch klar gezeigt, dass ein Brexit wirtschaftlich für Deutschland mindestens so schwer zu verkraften wäre, als womöglich für Großbritannien. Zwar hat er die größten Schwierigkeiten in der Grenzproblematik mit Nordirland gut erkannt und als schwer lösbar zweifellos dargestellt, aber darüber darf man vielleicht bemerken, dass wenn die EU nicht so stur und mit der eindeutigen Absicht, Großbritannien für den Brexit zu bestrafen, mit gutem Willen und ein wenig Flexibilität die Verhandlungen geführt hätte, wäre es ein Leichtes gewesen, ein einvernehmliches Abkommen mit Irland zu erreichen, um die Bewegungsfreiheit zwischen Nordirland und Irland konfliktfrei zu ermöglichen.
Eine weitere Überlegung von Prof. Sinn betraf die Veränderungen des Gleichgewichts innerhalb der EU infolge des Brexits: die „Sperrklausel“ von 35 %, d.h. die Gruppierung von Ländern nach deren Gewichtsverteilung innerhalb der EU, die aktuell nötig ist, um gemeinsame Entscheidungen zu torpedieren, würde nach dem Brexit zugunsten der kleineren Ländern verschoben, und könnte eindeutig  die Machtstellung Deutschlands und der anderen wenigen Ländern (Holland z.B.), die aus der bisherigen Gestaltung der EU als Gewinner hervorgegangen sind, und könnte deren Anstrengungen bremsen oder gar vereiteln, die Sparpolitik weiterhin durchzusetzen, unter der die anderen Länder wie Griechenland, Portugal, Spanien und Italien leiden.
Klarer hätte man nicht nenne können, wer (wie alle wissen), das größte Interesse an der Beibehaltung Großbritanniens in der Union hat: nämlich Deutschland. Und dies aus durchaus verständlichen Gründen, denn wenn die Exporte nach Großbritannien ausbleiben werden enorme Verluste für die deutsche Industrie prognostiziert.
In der Tat, scheint Professor Sinn außerdem erkannt zu haben, dass die EU nach dem Brexit vor weiteren .... „Exit“ stehen wird, während ohne Brexit die Union noch Chancen hätte, ihre Abwicklung,  mindestens noch für einiger Zeit,  zu stoppen.
Aber gerade ein scharfsinniger Ökonom wie Hans-Werner Sinn, der dazu auch die seltene Gabe hat, komplexe Sachverhalte allgemein verständlich zu erklären, müsste wohl erkennen, dass sowohl Politiker wie auch die Bevölkerung Großbritannien sich nicht wie Griechenland  der Arroganz und den Erpressungen der EU Führer biegen werden. Die schikanöse und herrische Verhandlungsführung der EU-Kommission hat vielmehr das Maß zu überlaufen gebracht.  Aber es ist und war auch nicht anders zu erwarten, denn die politische Führung der EU steht und Fällt mit der Durchsetzung des neoliberalen ökonomischen Modells.
Es  bestätigt sich hier einmal mehr, dass der absolute Glauben an die eigene ökonomische Modelle, die in der Theorie wunderbar funktionieren (denn man füttert sie mit den Daten die geeignet sind, um die gewollten Ergebnissen hervorzurufen), gleichzeitig den Verlust der Realitätswahrnehmung bedeutet.
So versperren sich auch die besten Ökonomen der Erkenntnis der wahren Probleme, und merken nicht mehr, dass ab einem gewissen Punkt die Auflösungsdynamik von Fehlkonstruktionen NICHT mehr mit den bisherigen Scheinlösungen gestoppt werden kann, denn sie alle funktionieren lediglich auf Kosten des Wohlstandes der Arbeiter und Kleinverdiener und zugunsten der Vermögenden. Damit ist aber auch kein Wachstum zu erwarten und keine Senkung der Arbeitslosigkeit, sondern im Gegenteil vergrößert sich lediglich die Kluft zwischen Arm und Reich.
Das wahre Problem der EU ist nicht die Überschuldung mancher Länder, sondern die Arbeitslosigkeit als Folge von fehlenden Investitionen, und diese wiederum sind auf die Sparpolitik zurückzuführen, die die Kaufkraft enorm reduziert hat, ohne dabei die Überschuldung zu reduzieren: im Gegenteil, in allen Mittelmeerländern ist die Überschuldung trotz (oder wegen !) aller „Reformen“, die die EU-Trojka erzwungen hat, immer weiter gewachsen.
Gerade jemand wie Professor Sinn,  der sich ausführlich mit dem Scheitern des Euros beschäftigt hat, kennt besser als jeder andere Ökonom seiner Schulrichtung (Neoliberalismus), dass die ökonomische Konstruktion der EU nicht nur fehlerhaft sondern ohne eine  grundlegende Änderung nicht mehr zu retten ist.
Statt der vergeblichen Versuche, die Wirklichkeit den abstrakten ökonometrischen Modellen anzupassen, sollte man eher umgekehrt verfahren, und die Probleme ohne Voreingenommenheit erkennen. Professor Sinn hat dies in mehreren anderen Situationen mindestens versucht und hat zur Klärung von sonst von den meisten Kollegen unbemerkte Sachverhalte entscheidend beigetragen. Aber im Fall der EU Politik und im Hinblick auf die ökonomischen Probleme,  scheint er entweder resigniert zu haben, oder sich damit zu begnügen, genauso wie alle andere „Wunderärzte“ der EU, tiefe Wunden mit Pflaster heilen zu wollen. 
Mindestens theoretisch, erkennt aber Professor Sinn das wahre Problem der EU: am Ende des Vortrages und auf eine diesbezügliche Frage hat er doch eindeutig bestätigt, dass manche Mittelmeerländer für ihre ökonomische Entwicklung besser getan hätten, NICHT  der Eurozone  beizutreten. Eine Feststellung, die jeder nachvollziehen kann, denn 2007-2008  haben alle EU-Länder außerhalb der Euro-Zone ohne große Probleme di Finanzkrise gut überstanden. Gleichzeitig und trotz aller Rettungsschirme und ähnliche Maßnahmen (die zum Teil auch noch ein Bruch mit den EU Verträgen darstellten !), stehen die Eurozone-Krisenländer heutzutage immer noch schlimmer da, und wenn die nächste Krise kommen wird – die Frage ist nicht mehr ob, sondern wann – wird es nicht mehr möglich sein, diese  EU Fehlkonstruktion zu retten.
Aber öffentlich für das Ende dieses gescheiterten Euro-Experiments aufzutreten, scheint auch einem Ökonom des Kalibers Hans-Werner Sinn noch zu gewagt. Dabei wäre es höchste Zeit, die Sachen beim Name zu nennen: wenn diese Fehlkonstruktion nicht mehr zu ertragen sein wird, erwartet die EU eine so schmerzhafte wie unvermeidliche Zerreißprobe. Einen Vorgeschmack davon könnten schon die Wahlen des EU-Parlaments im kommenden Frühjahr liefern. 

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