Samstag, 9. Mai 2015

 Ein Sieg für das „Jahrhundertprojekt“ oder ein Armutszeugnis für OB und Gemeinderat ? 

Des Oberbürgermeisters gelungenes Kunststück heißt leider: Bürgerspaltung!



Es geschieht gelegentlich, dass ein Stadtoberhaupt mit einem Bauvorhaben  die Bürgerschaft spaltet, aber es ist kaum bekannt, dass dies in so kurzer Amtszeit passiert, wie jetzt in Radolfzell am Bodensee, d.h. nach knapp eineinhalb Jahren.
ZurVorgeschichte: vor ca. 10 Jahren hatte man in Radolfzell sam Bodensee angefangen, sich Gedanken über eine Modernisierung der Bahnhofsunterführung, die einzige direkte Möglichkeit, von der Stadtmitte zur Seepromenade zu gelangen.
Zunächst wurde mit zwei Varianten gearbeitet, die eine die Modernisierung der bestehenden Unterführung (Dieser Bau ist weniger als 50 Jahre alt, und wurde damals prämiert, ist also keine baufällige, sondern eine voll funktionsfähige Anlage. Die Bahn selber war immer damit zufrieden und sah keinen Bedarf für Nachbesserungen.
Dies änderte sich plötzlich, als die neue Variante ins Gespräch kam, denn der vorherige Oberbürgermeister hatte eine Ausschreibung OHNE limitierte Bausumme (!) veranlasst, für eine ganz neue Unterführung, doppelt so breit, wenige Meter an der Seite der bestehenden, die dann zugeschüttet werden sollte.
Die ersten Kostenberechnungen für beide Varianten wurden zunächst für die Entscheidung des Gemeinderats so dargestellt, als ob der Neubau nur unwesentlich teurer wäre, dementsprechend fiel die Entscheidung für den Neubau für ca. 10 Millionen Euro.
Dass es so nicht sein konnte versteht auch der Laie, und in der Tat verdoppelten sich bald die Kostenberechnungen für die vom Gemeinderat im guten Glauben gewählte Neubau-Variante.
Die ersten Bedenken kamen auf, denn ein Teil der Gemeinderäte hatte das Spiel erkannt, und fühlte sich über den Tisch gezogen. Der OB übte jedoch weiter die Salami-Taktik und verkündete feierlich eine Kostenobergrenze von 17 Millionen. Diese wurde wiederum kurze Zeit danach überschritten, z.Z. sind schon 22,5 Millionen, Tendenz steigend (und wer sich in Tiefbauprojekten auskennt, weiß schon jetzt, dass es in Richtung 30 Millionen noch  eher steigen  wird).
Der OB muss dann die Brisanz der Situation erkannt haben, aber aus Gründen, die noch zu erfahren sind (z.T. wurden nämlich die Gemeinderäte zur Schweigepflicht gezwungen, eine seltsame Interpretation der Demokratie!), statt verantwortungsvoll zurückzurudern   organisierte er eine enorme „Verkaufsaktion“ des Neubauvorhabens, mit vollem Einsatz des mitbeteiligten Planungsbüros, wöchentliche Veröffentlichungen der 3D Modelle und Zeichnungen in dem stadteigenen Mitteilungsblatt. Die Modernisierungsvariante wurde als tot erklärt, der Neubau marketingswirksam als „Jahrhunderprojekt“ umgetauft, und als „alternativlos“ deklariert.
Um die Bürger bei der offensichtlich unkontrollierten  Kostenexplosion zu beruhigen,  mangels stichhaltiger Beweise wurde gebetsmühenlartig wiederholt, dass die Finanzierung gesichert sein würde, was auch möglich sein könnte, nur auf Kosten von allen anderen notwendigen und dringenderen Maßnahmen, die dann folgerichtig nicht mehr durchgeführt werden können.
Die Rechtfertigung für die enormen Kosten wurde schließlich mit dem Argument gestützt,  dieser Protzbau würde touristisch ein großer Gewinn für die Stadt sein: als ob die Besucher nur deswegen Radolfzell aufsuchen, um eine moderne Unterführung zu bewundern. Es sei denn, die Stadt plant einen Zoll oder die Erhebung von Eintrittsgeldern für die Benutzer der Unterführung !!
Weil aber trotz aller Anstrengungen und Täuschungsmanöver ein großer Widerstand bei den Bürgern unübersehbar war, ließ der OB beim Allensbacher Institut für Meinungsforschung eine telefonische Umfrage (auf 1000 Bürger limitiert) durchführen. Die Erbegnisse am 6.Mai 2015 besagen, dass 51 % der Bürger für den teuren Neubau sind, und 42 dagegen und  7 % unentschieden.
Dieses Ergebnis wurde prompt vom OB als Freibrief für die Durchsetzung der Entscheidung bewertet: 10 % Vorsprung ist in seinen Worten „eine klare Sache“.
Er scheint wenig Ahnung von der Genauigkeit solcher Umfragen zu haben, denn die „Päpstin“ der deutschen Meinungsforschung , E. Noelle-Neumann, Gründerin des genannten Allensbacher Instituts,  formulierte diese unmißverständlich so: “ Zwischen dem, was wir an Rohergebnissen erhalten und dem, was wir als Prognose veröffentlichen,, liegt manchmal eine Differenz von zehn oder elf Prozent“ (Rheinischer Merkur, 11.9.1987).
Ein Bürgermeister muss nicht unbedingt soziologisch geschult oder Statistikexperte sein (diese letzten bestätigen übrigens ebenfalls die ca. 10% Ungenauigkeit der Umfragen), aber er müsste sich mindestens fragen, ob das Ergebnis für ihn nicht eher ein Armutszeugnis ist, denn ein Jahr lang hat er alle Mittel eingesetzt, hat bei den Bürgern die Werbetrommel ununterbrochen gerührt, mit den modernsten Mitteln der Werbung, um die teure Variante als einzig mögliche Baumaßnahme zu „verkaufen“, und die billigere Modernisierungsvariante tot zu schweigen.
Die Befürworter dieser vernünftigeren und billigeren Maßnahme hatten weder finanzielle Mittel für marktwirksame Präsentation des Projekts, noch ein Planungsbüro als Unterstützer (wohlbemerkt, die Planung allein hat schon 1,5 Millionen gekostet !) sondern nur die Möglichkeit mit Leserbriefen andere Bürger auf die unsinnige Verschwendung von Steuergeldern aufmerksam zu machen. Die Umfrage selbst  war außerdem getürkt: es wurde nämlich nicht die Wahl zwischen zwei Alternativen angeboten, sondern nur „Ja“ oder „Nein“ für die eine einzige vom OB erwünschte Lösung ermöglicht, was von vorne herein die Umfrage als unwissenschaftliches und unseriöses Manöver entlarvt.    
Dass trotzdem das Ergebnis so knapp ausgefallen, ist muss man sich fragen, ob im Rathaus noch ein Rest von  demokratischem  Bürgerrespekt geblieben ist, oder die reine Willkür seit eineinhalb Jahren die einzige Devise geworden ist, und die Spaltung der Bürgerschaft daher billig in Kauf genommen wird.

Graziano Priotto

Ostlandstrasse 7
78315 Radolfzell
Tel. 07732.54731




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