Ein Sieg für das „Jahrhundertprojekt“ oder ein Armutszeugnis für OB und Gemeinderat ?
Des Oberbürgermeisters gelungenes Kunststück heißt leider: Bürgerspaltung!
Es geschieht gelegentlich, dass
ein Stadtoberhaupt mit einem Bauvorhaben
die Bürgerschaft spaltet, aber es ist kaum bekannt, dass dies in so
kurzer Amtszeit passiert, wie jetzt in Radolfzell am Bodensee, d.h. nach knapp
eineinhalb Jahren.
ZurVorgeschichte: vor ca. 10
Jahren hatte man in Radolfzell sam Bodensee angefangen, sich Gedanken über eine
Modernisierung der Bahnhofsunterführung, die einzige direkte Möglichkeit, von
der Stadtmitte zur Seepromenade zu gelangen.
Zunächst wurde mit zwei Varianten
gearbeitet, die eine die Modernisierung der bestehenden Unterführung (Dieser
Bau ist weniger als 50 Jahre alt, und wurde damals prämiert, ist also keine
baufällige, sondern eine voll funktionsfähige Anlage. Die Bahn selber war immer
damit zufrieden und sah keinen Bedarf für Nachbesserungen.
Dies änderte sich plötzlich, als
die neue Variante ins Gespräch kam, denn der vorherige Oberbürgermeister hatte
eine Ausschreibung OHNE limitierte Bausumme (!) veranlasst, für eine ganz neue
Unterführung, doppelt so breit, wenige Meter an der Seite der bestehenden, die
dann zugeschüttet werden sollte.
Die ersten Kostenberechnungen für
beide Varianten wurden zunächst für die Entscheidung des Gemeinderats so
dargestellt, als ob der Neubau nur unwesentlich teurer wäre, dementsprechend
fiel die Entscheidung für den Neubau für ca. 10 Millionen Euro.
Dass es so nicht sein konnte
versteht auch der Laie, und in der Tat verdoppelten sich bald die
Kostenberechnungen für die vom Gemeinderat im guten Glauben gewählte
Neubau-Variante.
Die ersten Bedenken kamen auf,
denn ein Teil der Gemeinderäte hatte das Spiel erkannt, und fühlte sich über
den Tisch gezogen. Der OB übte jedoch weiter die Salami-Taktik und verkündete
feierlich eine Kostenobergrenze von 17 Millionen. Diese wurde wiederum kurze
Zeit danach überschritten, z.Z. sind schon 22,5 Millionen, Tendenz steigend
(und wer sich in Tiefbauprojekten auskennt, weiß schon jetzt, dass es in
Richtung 30 Millionen noch eher
steigen wird).
Der OB muss dann die Brisanz der
Situation erkannt haben, aber aus Gründen, die noch zu erfahren sind (z.T.
wurden nämlich die Gemeinderäte zur Schweigepflicht gezwungen, eine seltsame
Interpretation der Demokratie!), statt verantwortungsvoll zurückzurudern organisierte er eine enorme
„Verkaufsaktion“ des Neubauvorhabens, mit vollem Einsatz des mitbeteiligten
Planungsbüros, wöchentliche Veröffentlichungen der 3D Modelle und Zeichnungen
in dem stadteigenen Mitteilungsblatt. Die Modernisierungsvariante wurde als tot
erklärt, der Neubau marketingswirksam als „Jahrhunderprojekt“ umgetauft, und
als „alternativlos“ deklariert.
Um die Bürger bei der offensichtlich
unkontrollierten Kostenexplosion zu
beruhigen, mangels stichhaltiger
Beweise wurde gebetsmühenlartig wiederholt, dass die Finanzierung gesichert
sein würde, was auch möglich sein könnte, nur auf Kosten von allen anderen
notwendigen und dringenderen Maßnahmen, die dann folgerichtig nicht mehr
durchgeführt werden können.
Die Rechtfertigung für die
enormen Kosten wurde schließlich mit dem Argument gestützt, dieser Protzbau würde touristisch ein großer
Gewinn für die Stadt sein: als ob die Besucher nur deswegen Radolfzell
aufsuchen, um eine moderne Unterführung zu bewundern. Es sei denn, die Stadt
plant einen Zoll oder die Erhebung von Eintrittsgeldern für die Benutzer der
Unterführung !!
Weil aber trotz aller
Anstrengungen und Täuschungsmanöver ein großer Widerstand bei den Bürgern
unübersehbar war, ließ der OB beim Allensbacher Institut für Meinungsforschung
eine telefonische Umfrage (auf 1000 Bürger limitiert) durchführen. Die
Erbegnisse am 6.Mai 2015 besagen, dass 51 % der Bürger für den teuren Neubau
sind, und 42 dagegen und 7 %
unentschieden.
Dieses Ergebnis wurde prompt vom
OB als Freibrief für die Durchsetzung der Entscheidung bewertet: 10 % Vorsprung
ist in seinen Worten „eine klare Sache“.
Er scheint wenig Ahnung von der
Genauigkeit solcher Umfragen zu haben, denn die „Päpstin“ der deutschen
Meinungsforschung , E. Noelle-Neumann, Gründerin des genannten Allensbacher
Instituts, formulierte diese
unmißverständlich so: “ Zwischen dem, was wir an Rohergebnissen erhalten und
dem, was wir als Prognose veröffentlichen,, liegt manchmal eine Differenz von
zehn oder elf Prozent“ (Rheinischer Merkur, 11.9.1987).
Ein Bürgermeister muss nicht
unbedingt soziologisch geschult oder Statistikexperte sein (diese letzten
bestätigen übrigens ebenfalls die ca. 10% Ungenauigkeit der Umfragen), aber er
müsste sich mindestens fragen, ob das Ergebnis für ihn nicht eher ein Armutszeugnis ist, denn ein Jahr lang hat er alle
Mittel eingesetzt, hat bei den Bürgern die Werbetrommel ununterbrochen gerührt,
mit den modernsten Mitteln der Werbung, um die teure Variante als einzig
mögliche Baumaßnahme zu „verkaufen“, und die billigere Modernisierungsvariante
tot zu schweigen.
Die Befürworter dieser
vernünftigeren und billigeren Maßnahme hatten weder finanzielle Mittel für
marktwirksame Präsentation des Projekts, noch ein Planungsbüro als Unterstützer
(wohlbemerkt, die Planung allein hat schon 1,5 Millionen gekostet !) sondern
nur die Möglichkeit mit Leserbriefen andere Bürger auf die unsinnige
Verschwendung von Steuergeldern aufmerksam zu machen. Die Umfrage selbst war außerdem getürkt: es wurde nämlich nicht
die Wahl zwischen zwei Alternativen angeboten, sondern nur „Ja“ oder „Nein“ für
die eine einzige vom OB erwünschte Lösung ermöglicht, was von vorne herein die
Umfrage als unwissenschaftliches und unseriöses Manöver entlarvt.
Dass trotzdem das Ergebnis so knapp ausgefallen, ist muss
man sich fragen, ob im Rathaus noch ein Rest von demokratischem
Bürgerrespekt geblieben ist, oder die reine Willkür seit eineinhalb
Jahren die einzige Devise geworden ist, und die Spaltung der Bürgerschaft daher
billig in Kauf genommen wird.
Graziano Priotto
Ostlandstrasse 7
78315 Radolfzell
Tel. 07732.54731
E-mail: graziano.priotto@uni-konstanz.de
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